Lohn- und Dividendenwachstum im Vergleich

von Klaus-Uwe Becker, 20.11.24

Ich muss ja offen eingestehen, dass der Titel dieses Artikels nicht sehr einladend klingt. Das von uns untersuchte Phänomen könnte man ganz sicher viel reißerischer betiteln. Bei Retail Investor beschränken wir uns aber auf eher nüchterne und ausgewogene Betrachtungen.   

Trotzdem hat der Vergleich zwischen Lohn- und Dividendenwachstum das Zeug, Lebensentwürfe nachhaltig zu beeinflussen und ein erheblich höheres Maß an finanzieller Absicherung in die Wege zu leiten. Denn Einkommen, erzielt über Dividenden und deren Wachstum, ist Lohnwachstum meilenweit überlegen.

Besonders reizvoll ist dabei, dass es sich um sogenanntes Passive Income (passives Einkommen) handelt, also um die Möglichkeit, Geld ohne persönliche Mitwirkung zu verdienen.

Es ist anzunehmen, dass die Erkenntnis, dass Dividendenwachstum dem Lohnwachstum haushoch überlegen ist, den meisten Menschen nicht bewusst ist. Warum das so ist, warum Menschen diese Überlegenheit so sträflich ignorieren, werden wir an anderer Stelle untersuchen. Zunächst beschäftigen wir uns mit den zugrundeliegenden Tatsachen sowie der Beweisführung.

Wie wir vorgegangen sind

Basierend auf der Quelle des Statistischen Bundesamts (Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Fachserie 18, Reihe 1.4) hat das Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen1) eine Übersicht der Entwicklung der durchschnittlichen Löhne/Gehälter der Bundesrepublik Deutschland erstellt. Dieser Überblick umfasst den Zeitraum von 1995 bis 2023.

Dividend Virus Blau
Grafik: D. Mark

Basierend auf den vorliegenden Angaben zu den durchschnittlichen Bruttolöhnen im Jahr 1995 und 2023 (23.984,00 Euro und 42.450,00 Euro), haben wir die durchschnittliche, jährliche Bruttolohnsteigerung für diesen Zeitraum berechnet. Sie betrug 2,06%.

Diese Bruttolohnsteigerung vergleichen wir mit den durchschnittlichen jährlichen Dividendenwachstumsraten von 7 willkürlich ausgewählten US-Unternehmen. Es handelt sich dabei ausschließlich um renommierte, etablierte Unternehmen. Allesamt haben sie die Phase des stürmischen Wachstums lange hinter sich gelassen und zeichnen sich durch ununterbrochene Dividendenzahlungen über einen langen Zeitraum aus. Diese Dividenden heben sie im Jahresturnus an. Alle Unternehmen zahlen sogenannte Quartalsdividenden, überweisen also zu 4 unterschiedlichen Zeitpunkten im Jahr eine Dividende an ihre Aktionäre.

Weil Aktien, im Vergleich zu Anleihen mit dem Kurswachstum noch über einen zweiten Wachstumshebel verfügen, haben wir auch dieses Kurswachstum für den Vergleichszeitraum ermittelt. 

Alle Ergebnisse haben wir in der nachfolgenden Tabelle 1 zusammengeführt.

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Dividendenwachstum schlägt Lohnwachstum

Das durchschnittliche jährliche Dividendenwachstum unserer Unternehmensauswahl bewegt sich in einer Bandbreite von 4,20% für BMY, bis hin zu 15,93% für TXN. Eine gleichgewichtete Auswahl aller dieser Aktiengesellschaften hat eine Wachstumsrate von 9,22% erreicht. Damit liegt sie um Lichtjahre über der Bruttolohnzuwachsrate von 2,06% im gleichen Zeitraum. 

Wir sind uns darüber bewusst, dass diese Auswahl aus unterschiedlichen Gründen nicht als wissenschaftlich repräsentativ betrachtet werden kann. Handelt es sich doch zum einen um eine sogenannte ex-post Betrachtung. Das ist eine Analyse, die im Nachhinein gemacht wurde und somit der Gefahr ausgesetzt ist, dass es sich dabei um eine Positivauswahl handeln würde. Zum anderen ist die Datenbasis zu dünn, um statistisch relevante Ergebnisse für sich reklamieren zu können.

Wir halten dem jedoch entgegen, dass eine repräsentative Analyse allenfalls tendenziell geringfügig veränderte Ergebnisse zeitigen würde. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Dividendenwachstumsrate über die letzten 50 Jahre, in Abhängigkeit von wirtschaftlichen Zyklen und Marktbedingungen, zwischen 5% und 6% schwankte. In den 1970er bis 80er Jahren lag sie, bedingt durch hohes Wirtschaftswachstum und Inflation, bei über 6%, um in den 1990er und 2000er Jahren auf die Bandbreite zwischen 4%-5% zurückzufallen. Ab 2010 erhöhte sie sich auf eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 6 bis 7%.

Analysiert man den S&P 5002), der die größten US-amerikanischen Börsenunternehmen umfasst, auf sein Dividendenwachstum über den von uns veranlagten Zeitraum, kommt man auf eine Dividendenwachstumsrate von 6,22%.

Wenn Passive Income Investoren in solide Dividendenwerte investiert sind, dürfen sie demzufolge von einer vergleichsweise gesicherten Wachstumsdynamik von 4%-5% pro Jahr ausgehen.

Selbst dieses sehr defensive Szenario schlägt das von uns errechnete Bruttolohnwachstum mehr als deutlich. Eine qualifizierte Auswahl von Dividendenpapieren dürfte, so zeigen unsere Ergebnisse, das von uns prognostizierte Dividendenwachstum noch deutlich übertreffen und somit die Kluft zum Bruttolohnzuwachs weiter vergrößern.    

Kurswachstum

Als Kleinanleger ist die Aufmerksamkeit oft auf die Dividende sowie deren Wachstum ausgerichtet. Wegen seiner begrenzten finanziellen Mittel, besteht das primäre Interesse des Kleinanlegers darin, die monatliche Sparquote über die regelmäßig anfallenden Dividendenzahlungen so stark und schnell wie möglich zu erhöhen, muss er sich doch einen gewissen Kapitalstock erst einmal verdienen. Ziel ist dabei, zu erreichen, dass eine Kurswachstumsrate von etwa 7% das eigene Vermögen in eine attraktive Dimension hebeln kann. Schließlich sind 7% von 1.000 Euro „nur“ 7 Euro, während 7% von 1 Million einen Zugewinn um ein fettes Bruttojahresgehalt von 70.000 Euro darstellt.

Trotzdem ist es auch für den Kleinanleger von Bedeutung, zu wissen, mit welchem Kurswachstum er denn bei seinen Dividendenpapieren rechnen kann. Also zu erfahren, wie groß der zweite Wachstumshebel seiner Aktie ist.  

Retail Investor hat sich dazu die Mühe gemacht, die Kurswachstumsrate über exakt den gleichen Zeitraum zu ermitteln. Wir sind dabei nicht davon ausgegangen, dass die angefallenen Dividenden reinvestiert worden sind.

Auch bei dieser Betrachtung (Tab. 1 Zeile: Kurswachstum) fällt die vergleichsweise große Bandbreite von 4,88% bis 13,76% auf. Interessant, aber auch logisch ist, dass im Großen und Ganzen eine Korrelation zwischen Kurs- und Dividendenwachstumsrate besteht. Das nach Kurswachstum stärkste Unternehmen, Texas Instruments, besitzt auch die höchste Dividendenwachstumsrate.

Gleiches gilt im umgekehrten Sinn für die Aktiengesellschaft mit der niedrigsten Kurswachstumsrate. Bristol-Myers & Squibb besitzt auch die niedrigste Wachstumsrate bei den Dividenden.

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Design: D. Mark

Wichtig ist allerdings ein ganz anderer Aspekt. In keinem der aufgeführten Fälle hätte ein Investor über den Zeitraum von 28 Jahren Verluste eingefahren. Bei den ausgewählten Unternehmen handelt es sich zwar um namentlich bekannte Aktiengesellschaften, allerdings nicht um solche, die wegen explosiven Kurswachstums in der ersten Aufmerksamkeitsreihe der Anleger stehen. Unsere gewählten Werte umweht im Wesentlichen der Charme einer glorreichen Börsenvergangenheit.

Trotzdem hätte ein Anleger mit diesem Mix, aus einem Einmalinvestment von 7.000 USD im Jahre 1995, ein kleines Vermögen in Höhe von 85.781,25 USD erwirtschaftet (Tab. 2). Wären jedoch 10.000 USD in jede dieser überwiegend mäßig erfolgreichen Unternehmen geflossen, säße unser Investor heute auf gut 850.000 USD.  

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Anfallende Jahresdividenden

Die zweite Tabelle zeigt die jeweiligen Brutto-Jahresdividenden in USD, die unsere Unternehmensauswahl in 2024 erzielt. Bei der Ermittlung sind wir wie folgt vorgegangen. Das nach dem Investment über 28 Jahre erwirtschaftete Vermögen haben wir durch die jeweiligen Unternehmensschlusskurse zum 29.12.2023 dividiert. Die so ermittelte Anzahl der Aktien haben wir abgerundet, mit der 2024 anfallenden Jahresdividende multipliziert. Die Ergebnisse findet man in der Zeile Dividendensumme.

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Der ursprünglich investierte Betrag von 7.000,00 USD erbrächte im Jahr 2023 somit eine Dividendenzahlung von 2.730,12 USD. Nach anfallenden Steuern in Höhe von 25,5% (Kapitalertragssteuer incl. Soli; evtl. anfallende Kirchensteuer unberücksichtigt) ergäbe das bei einem aktuellen Dollarkurs von 0,9381 (Schlusskurs vom 11.11.2024) einen Dividendenertrag von 1.908,04 Euro p.a.

Das entspräche übrigens einer Nettorendite von 29,06% auf die ursprünglich im Jahr 1995 investierten 7.000,00 USD. Zu berücksichtigen ist zudem, dass sich dieser Dividendenertrag ja noch mit durchschnittlich wenigstens 4 – 6 % im jährlichen Rhythmus zukünftig erhöhen dürfte.  

Dass man nach 4 Jahresdividenden auf dem 2024er Niveau seinen 1995 gemachten Kapitaleinsatz wieder zurückerstattet bekommen hat, ist ein weiterer erstaunlicher Aspekt, der anschaulich verdeutlicht, wie Kapital arbeitet. 

 Fazit – was zu tun ist

Unsere Beispiele machen deutlich, dass auch das Manko eines vergleichsweise geringen Einkommens durch ausgeprägtes Finanzwissen, gepaart mit Zielstrebigkeit und Ausdauer, nachhaltig kompensiert werden kann.

Wenigstens eine kleine Geldsumme über einen langen Zeitraum an der Börse für sich arbeiten zu lassen, kann und darf fast von Jedem erwartet werden.

Je früher man beginnt und je länger man durchhält, umso besser kann der Zinseszinseffekt optimal genutzt werden und seine wundersame Wirkung entfalten.  

Menschen machen es sich zu leicht, wenn sie das Auseinanderdriften zwischen Arm und Reich ausschließlich übergeordneten Umständen anlasten, sich selbst in der Opferposition sehen und somit als Mitschuldigen vollständig ausschließen.

Eklatante Wissenslücken beim Finanzwissen, mangelnde Zielstrebigkeit und Ausdauer sind elementare Aspekte, die man sich zu ganz erheblichen Teilen selbst anzulasten hat. Schiebt man sie vollständig auf die gesellschaftlichen Umstände ab, macht man es sich viel zu leicht und verkennt die Realitäten.

Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse kann oder muss man sich eigentlich aber auch mit der einen oder anderen Frage auseinandersetzen. Fragen wie, warum gerade die Deutschen kein Volk von Aktienbesitzern sind, woher die ausgeprägte deutsche Aktien- und Risikophobie stammt und wer sie womöglich zu vertreten hat.

Befassen sollte man sich aber insbesondere auch mit der Frage, was denn eigentlich zu tun ist, um unseren Kindern Finanzwissen ideologiefrei und aufgeklärt zu vermitteln. Um sie zu befähigen, sich erfolgreich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen beteiligen zu können, anstatt ihnen diesen Weg von vornherein schlecht zu reden und somit vorzuenthalten.

Dabei sollten wir im Blick haben, dass wir es uns erlauben, unseren Kindern eine Ausbildung zukommen zu lassen, die u.U. bis zu mehr als 20 Jahre andauern kann. Wir tun dies auch, wenn nicht sogar vor allem, um die Chance auf ein materiell abgesichertes und erfülltes Leben zu erhöhen. Vor diesem Hintergrund kann man es als fahrlässig ansehen, ihnen eine zusätzliche Möglichkeit vorzuenthalten, ihr späteres Leben zusätzlich über investiertes Kapital abzusichern.

Vielleicht befreit man sie dadurch ja auch von der Notwendigkeit, später einmal exzessive Überstunden ableisten zu müssen, oder einen Zweitjob annehmen zu müssen, um einen etwas höheren Lebensstandard zu erreichen.      

Ein weiterer nicht zu unterschätzender Gesichtspunkt, der mit einer zusätzlichen Einnahmequelle verbunden ist, ist das Loslösen aus übergeordneten Abhängigkeiten. Aus Abhängigkeiten, denen man ausgeliefert ist, deren Beeinflussung entweder gar nicht oder nur einschränkt von uns beeinflusst werden kann. Das wären z.B. Dinge, wie die politische und gesamtwirtschaftliche Situation unseres Landes, das Verhandlungsgeschick von Gewerkschaften bei Lohnerhöhungen, die Verfügbarkeit von Beförderungs- und Planstellen oder aber auch der Zwang, bei Vorstellungsgesprächen unbedingt gefallen zu müssen.

Also entkoppeln sie sich von diesen Abhängigkeiten. Das ist ein langer mühsamer Weg, aber ein Weg, der sich lohnt und bei viel Geschick sogar in die vollkommene materielle Unabhängigkeit führen kann. Nicht nur wegen, aber doch gerade in unseren politisch bewegten Zeiten sollte das ein lohnens- und erstrebenswertes Ziel sein.

Disclaimer:

Jeder Artikel gibt die persönliche Meinung des jeweiligen Verfassers wieder. Diese ist das Ergebnis eigener Recherchen, die nach bestem Wissen und Gewissen und mit großer Sorgfalt durchgeführt worden sind. Es handelt sich dabei nicht um eine Wertpapierberatung bzw. Aufforderung zum Kauf von Wertpapieren. Vorsorglich wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Erwerb von Wertpapieren mit gewissen Risiken verbunden ist, mit Risiken, die im schlimmsten Fall zum Totalverlust des eingesetzten Kapitals führen können.

Es wird ferner darauf verwiesen, dass Wertpapierkäufe auf sorgfältige eigene Analysen und Recherchen gegründet sein sollten. Weder Retail Investor, noch der/die Verfasser eines Artikels haften für etwaig entstandene Verluste.  

Retail Investor – Klaus-Uwe Becker