Das verzerrte Bild des Investors in der Öffentlichkeit

Über Vision, Mut und Geduld an der Börse

von Klaus-Uwe Becker – 20.02.2024

Von George Fisher Baker (1840 –1931), dem ehemals drittreichsten Menschen der USA, hinter Henry Ford und John D. Rockefeller, stammt die folgende Börsenweisheit.

Um mit Aktien Geld zu verdienen, muss man über die folgenden Fähigkeiten verfügen. Über die Vision, das geeignete Papier zu entdecken, den Mut, es zu kaufen und die Geduld, es über einen langen Zeitraum zu halten, wobei Geduld, die seltenst vorhandene Fähigkeit ist.

Wenn man so will, ergibt sich daraus die Formel für Wohlstand. Kapital plus Vision, Mut und Geduld sind die essenziellen Bedingungen für Wohlstand. In den einschlägigen Debatten finden diese Fähigkeiten unberechtigterweise keinerlei Berücksichtigung und werden dadurch als wesentlicher individueller Leistungsansatz vollkommen entwertet.

Vision, Mut und Geduld sind für den Investor jedoch nur von Nutzen, wenn sie sich auf ein solides Fundament gründen. Ein Fundament welches aus Finanzwissen, micro- und makroökonomischen, sowie auch aus wissenschaftlichen Grundkenntnissen besteht, garantiert, dass Investorenerfolg nachhaltig ist und sich nicht als bloßes Zufallsprodukt entpuppt.

Betrachtet man diese elementaren Voraussetzungen für erfolgreiches Investieren einmal philologisch, verstärkt sich das Unverständnis über das einseitig in die Öffentlichkeit transportierte Bild des erfolgreichen Investierens noch weiter. Sind Vision, Mut und Geduld nicht durchweg positiv belegte Eigenschaften, die gesellschaftlich gemeinhin als wertvoll angesehen werden? Wieso darf ein Investor für diese „seltenen“ Qualitäten, die im Allgemeinen gerade in Deutschland nicht sehr weitverbreitet sind, nicht belohnt werden? Jeder Journalist vermarktet seine politischen, micro- und makroökonomischen und/oder wissenschaftlichen Grundkenntnisse und wird dafür nicht negativ konnotiert.

Es drängt sich an dieser Stelle der Verdacht auf, dass in einem Land, in dem Wertpapierbesitz per se negativ konnotiert ist, die mit Kompetenz, Vision, Mut und Geduld erbrachte Leistung aus ideologischen Gründen bewusst negativ gewertet werden soll.

Gier
Grafik: D. Mark

Es drängt sich an dieser Stelle der Verdacht auf, dass in einem Land, in dem Wertpapierbesitz per se negativ konnotiert ist, die mit Kompetenz, Vision, Mut und Geduld erbrachte Leistung aus ideologischen Gründen bewusst negativ gewertet werden soll.

Investoren werden in der Öffentlichkeit oft als Kapitalisten bezeichnet, man kann meinen, sogar gescholten. Diese sehr verkürzte Sichtweise wird teilweise auch noch von politischer Seite gestützt und auch von den Medien undifferenziert verbreitet. Sie wird kaum fachkundig hinterfragt und als eine Art ungeschriebenes Gesetz permanent wiederholt, obwohl eigentlich jedem Menschen klar sein müsste, dass ausreichend Kapital noch kein Garant für erfolgreiches Investieren ist. So ziemlich Jedem dürfte bekannt sein, dass eine Vielzahl von Jackpot-Gewinnern im Lotto aus vielerlei Gründen nicht in der Lage ist, das gewonnene Geld zu vermehren und dass das Vorhandensein von Kapital per se kein Garant für Erfolg ist. ist jedoch nichts anderes als ein deutlicher Hinweis, dass man sich mit der Thematik erfolgreichen Investierens nicht wirklich zielführend auseinandergesetzt hat.

Was macht den erfolgreichen Aktionär denn nun aus? Er ist vor allem ein von Alltagssorgen befreiter Unternehmer. Ein Unternehmer, der sich nicht um die täglichen Arbeitsabläufe eines großen Unternehmens kümmern muss. Er ist eher in der Position eines Aufsichtsrats, der vom Homeoffice aus beobachtet und kontrolliert, ob das große Ganze stimmig ist. Sein wirklicher Einfluss wird maßgeblich durch die Menge der Aktien, die er hält, definiert und seine Haftung ist auf sein investiertes Vermögen begrenzt.

Es wäre vor diesem Hintergrund eine verkürzte Sichtweise, Investieren als solides Handwerk zu betrachten. Diese Sichtweise der Dinge kann, wenn überhaupt, allenfalls für bestimmte einfache Anlagestrategien wie z.B. das Investieren in ETFs oder in Dividend Aristocrats in Betracht gezogen werden.

Was ist dann Investieren? Eine Kunst, wie Andre Kostolany einst meinte, oder sogar eine Wissenschaft? Ich glaube, es trägt etwas von allem in sich. Ohne solides Wissen in vielerlei Bereichen sind Vision, Mut und Ausdauer keine Garanten für nachhaltigen Erfolg.  

Erfolgreiches Investieren ist ein komplexer Prozess, der zu Unrecht klein geredet und entwertet wird. Kreative Elemente, wie sie auch in der Kunst vonnöten sind, gehören wahrscheinlich auch dazu. Somit ergibt sich ein Anforderungsprofil für einen erfolgreichen Investor, das aus vielen unterschiedlichen Facetten besteht, die in der Öffentlichkeit meist leider keinerlei Beachtung finden. Vielleicht hat dies aber auch nur mit dem ausgeprägten Neidkomplex zu tun, der bei den Deutschen nicht gerade unterentwickelt ist