Börsen-Projekt am Max-Born-Berufskolleg

Schüler schlagen Experten und Index

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Dass der November 2017 einmal zu einem denkwürdigen Zeitpunkt werden könnte, habe ich mir damals nicht träumen lassen. Als Lehrer am Max-Born-Berufskolleg in Recklinghausen hatte ich anlässlich der anstehenden Projektwoche ein Projekt über die Börse konzipiert und war auch mit dessen Leitung befasst.

Schülerinnen und Schülern sollte dabei die Aktienanalyse und -anlage nähergebracht werden. Bei den Adressaten handelte es sich um eine interessierte Lerngruppe, bestehend aus jungen Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe II., schulisches Ziel war das Fachabitur.

Anlässlich dieser Projektwoche analysierten die Teilnehmer/innen das Kurswachstum erfolgreicher Aktiengesellschaften und untersuchten auch eventuell angefallene Stocksplits, sowie deren Auswirkungen. So weit, so gut, könnte man sagen.

Die sich aufdrängende Frage ist jedoch, worin denn das besondere Moment bestand, kann doch, außer der vielleicht etwas ungewöhnlichen Themenwahl, erst einmal nichts wirklich Besonderes an diesem Projekt festgemacht werden.  

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Max-Born-Berufskolleg, Recklinghausen - Artwork: D. Mark

Das Musterdepot

In der abschließenden Projektbesprechung schlug ich den Teilnehmern/innen vor, ein Musterdepot nach deren Wünschen, Vorstellungen und aktuellen Kenntnissen bei Yahoo Finance US einzustellen, um so verfolgen zu können, wie sich dieSchülerinvestitionen entwickeln würden. Einzige Bedingung, für dieses Musterdepot stünde ein fiktiver Investitionsbetrag von 25.000 Euro zur Verfügung.

Nach kurzer, aber intensiver Diskussion, trugen die Schüler/innen vor, in welche Aktiengesellschaften (AGs), sie das zur Verfügung stehende Kapital investieren wollten. Das damalige, von mir in keiner Weise beeinflusste Ergebnis der Vorschläge lautete:

  • Amazon – 10 Aktien
  • Alphabet – 10 Aktien
  • Apple – 10 Aktien
  • Facebook – 10 Aktien
  • Tesla – 10 Aktien

Erste Reaktion und Überlegungen

Zuerst einmal muss ich sagen, nicht sonderlich überrascht gewesen zu sein, hatten die Kursteilnehmer/innen doch AGs gewählt, die über einen hohen Bekanntheitsgrad verfügten, die sie aus dem aktuellen Leben kannten und deren Produkte sie teilweise auch selbst nutzten. Wenn man so will, setzten sie auf einen weiteren Erfolg der bereits damals erfolgreichen Unternehmen. Keine schlechte Strategie, wie man meinen könnte, hätte nicht schon die Frage im Raum gestanden, wie lange sich denn dieser Erfolg weiter fortschreiben lassen würde.

Zum damaligen Zeitpunkt wusste ich noch nichts über den US-amerikanischen Voya Corporate Leaders Fund Series B1). Dieser Fonds war im Jahre 1935 ins Leben gerufen worden. Die Besonderheit dieses Fonds bestand darin, die vorhandene Investitionssumme auf die damals 25 führenden US-amerikanischen Unternehmen gleichmäßig zu verteilen. Ein Verkauf oder eine Auswechslung dieser Unternehmen war und ist bis auf den heutigen Tag nicht möglich. Diese Bedingung hatten die Gründer ihrem Fonds mit auf den Weg gegeben. „Frisches Blut“ in Form von neuen Unternehmen gelangt ausschließlich durch Übernahmen oder die Ausgründung von Unternehmensteilen in den Voya Fonds.

Damit ist dieser Fonds das perfekte Beispiel für eine Buy-and-Hold-Strategie über nunmehr 89 Jahre. Salopp gesagt, repräsentiert er so was, wie die Strategie des sich einmaligen Kümmerns, mit sich anschließendem Vergessen und Ignorieren von allem – Krieg, Krisen, Börsencrashs etc. eingeschlossen.   

Aktuell besteht das Vermächtnis aus 20 Aktiengesellschaften. Bis auf wenige Ausnahmen handelt es sich dabei um Nachfolgefirmen, die aus den ursprünglichen Unternehmen hervorgegangen sind, oder um Unternehmen, die einen der ursprünglichen Fondsmitglieder übernommen haben.

Das Besondere an diesem Voya Fonds besteht darin, dass dieses Konglomerat antiquarischer Unternehmen, wie man etwas despektierlich sagen könnte, den Index S&P 500 mit mittleren, zweistelligen Wachstumsraten über Dekaden ziemlich satt übertroffen hat.     

Hätte ich damals schon gewusst, wie erfolgreich dieser Voya Fonds mit seinen „antiquierten Marktführern“ war und bis auf den heutigen Tag ist, hätte ich meine nicht artikulierten Bedenken leichter herunterschlucken können.

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Artwork D. Mark

Aber zurück zum Schulprojekt. Ich erinnere mich noch daran, wegen der Persönlichkeit von Elon Musk und dessen extrem riskanten und großspurigen Agierens Bedenken zum Kauf von Tesla Aktien vorgebracht zu haben. Stattdessen hätte ich gern die Netflix Aktie in unserem Depot gesehen. Letztendlich handelte es sich aber um ein Schülerprojekt, weshalb meine Bedenken keinerlei Berücksichtigung fanden.

Noch am Ende der Projektwoche habe ich dann, zu den damaligen Schlusskursen, die fiktiven Aktienkäufe getätigt. Die Anzahl der erworbenen Aktien und deren Kaufkurse habe ich bei Yahoo Finance US in ein Musterdepot namens – Projekt – eingestellt. Der zur Verfügung stehende Investmentbetrag wurde um 291,75 Euro leicht unterschritten, so dass insgesamt lediglich 24.708,26 Euro (29.414,60 USD) investiert wurden. Die extrem ungleiche Gewichtung der einzelnen Aktienpositionen, die durch die etwas unkluge Entscheidung zustande gekommen ist, von jedem Unternehmen ausschließlich 10 Aktien zu erwerben, habe ich damals mit etwas Bauchschmerzen akzeptiert. Schließlich war es ja nur Spielgeld, das wir investiert hatten.

Bis zum heutigen Tag befindet sich dieses Depot unverändert in meinem Yahoo Account. Angepasst wurde es lediglich um die angefallenen Aktiensplits1) (Stock Splits) von Alphabet (Split: 20:1 – 2022), Amazon (Split: 20:1 – 2022), Apple (Split: 4:1 – 2020) und Tesla (Split: 5:1 – 2020 und 3:1 – 2022).

Der nachfolgende Screenshot dieses Depots zeigt den Stand zum 15.11.24 und dokumentiert die Performance über den Zeitraum der letzten 7 Jahre.

1) Aktiensplit:

Bei einem Aktiensplit handelt es sich um eine Kapitalmaßnahme zur Kursreduzierung. Hierfür erhöht die Aktiengesellschaft die Anzahl der ausstehenden Aktien in einem von ihr vorgegebenen Verhältnis und senkt somit den Kurs im entsprechenden Verhältnis. Bei einem Split von 2 zu 1 erhält der Aktienbesitzer für eine Aktie 2 Aktien auf sein Wertpapierdepot eingebucht. Der Börsenkurs verringert sich jedoch im gleichen Verhältnis. Vermögenstechnisch hat sich für die Aktiengesellschaft und den Anleger nichts geändert. Besaß der Anleger vorher eine Aktie im Wert von z.B. 200 Euro, sitzt er nach Ausführung des Aktiensplits nunmehr auf 2 Aktien zum Kurs von jeweils 100 Euro. Steigt die Aktie in den nächsten Jahren jedoch, profitiert der Aktionär entsprechend. Es kommt vor, dass Aktiengesellschaften, trotz eines vorangegangenen Splits, das alte Kursniveau nach einiger Zeit erneut erreichen. Das Vermögen unseres Aktionärs hätte sich dann verdoppelt.

Screenshot Depot MBK

Analyse des Depots

Bereits auf den ersten Blick beeindruckt der oben ausgewiesene Total Gain/Gesamtgewinn von 108.253,80 USD. Ein sattes Plus, das der investierten Summe von 29.414,60 USD hinzuzurechnen ist. Prozentual übersetzt, entspricht dies einem Gewinn von 368,02%. Auf die 7 Jahre gerechnet, bedeutet das eine durchschnittliche, jährliche Wachstumsrate von 23,31%.    

Im Zeitraum von 2017 bis 20232) hat die Investorenlegende Warren Buffett für seine Aktiengesellschaft, Berkshire Hathaway, eine durchschnittliche, jährliche Wachstumsrate von 18,16% erzielt. Der große repräsentative US-Index S&P 500 legte „nur“ 14,89% zu.

Damit hat unser Schülerdepot, Warren Buffett, die größte Investorenlegende, sowie den S&P 500 locker übertroffen. Auch in der aktuell im Screenshot ausgewiesenen Annual Performance (Jahresperformance) liegt das Schülerdepot (rote Linie) vor dem Vergleichsindex S&P 500.

Hätte man 2017 den Betrag von knapp 180.000 EUR investiert, wäre man übrigens Stand 14.11.24 in den Millionärsstatus aufgerückt.

Aus den ursprünglich insgesamt erworbenen 50 Aktien, ist durch die unterschiedlichen Aktiensplits die stolze Summe von 600 Aktien hervorgegangen.

Das einzige Manko dieses Depots besteht darin, dass es kaum Dividendenerträge abwirft. Apple war bereits im Jahr 2017 Dividendenzahler. Allerdings war die Dividendenrendite verschwindend gering. Dies hat sich auch aktuell nicht geändert. Im Juli 2024 hat Alphabet die erste Quartalsdividende in Höhe von 0,20 USD pro Aktie ausgezahlt und im Februar dieses Jahres hatte Meta Platforms (Facebook) Dividendenzahlungen aufgenommen. In den nächsten Jahren dürfte auch Amazon zum Dividendenzahler mutieren. Die Dividendenrenditen werden nach und nach ein für Investoren attraktiveres Niveau erreichen. 

2) Quelle:  https://berkshirehathaway.com/2023ar/2023ar.pdf

Der Annual Report für das Jahr 2024 lag zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels noch nicht vor.

Schade

Wirklich schade ist, dass ich keine Möglichkeit habe, meinen früheren Schülern/innen von dieser sensationellen Entwicklung zu berichten. Bis zu deren Abschlussprüfung war die Kursentwicklung nicht sonderlich spektakulär verlaufen. Zugeben muss ich auch, die Bedeutung dieses Projektdepots nicht mehr so sehr in meinem Bewusstsein verankert zu haben. Sonst hätte ich mir sicher die Anschriften der Kursteilnehmer notiert, um ihnen im Nachhinein von ihrem fiktiven Erfolg berichten zu können.  

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Artwork: D. Mark

Was man von diesem Projekt lernen kann

Oft kann erfolgreiches Investieren einfach sein. Sich am Erfolg der erwiesenermaßen erfolgreichen Unternehmen zu beteiligen, ist nicht wirklich schwer. Begehrte Produkte, die von einer Vielzahl anderer Menschen, oft trotz hoher Preise (Apple) gekauft und genutzt werden, können ein Hinweis auf ein lohnendes Investment sein.

Dominiert ein Unternehmen den Markt, wie z.B. Nvidia, kann es sich lohnen, über ein Investment nachzudenken. Spätestens wenn die EU, Unternehmen wie Google und Meta, mit Strafmaßnahmen bedroht, sollte auch dem Letzten klar sein, dass diese AGs über eine gewisse Marktmacht verfügen.

Wenn man dazu noch weiß, dass nach Zerschlagung des Rockefeller Imperiums im Jahre 1911, fast alle neu entstandenen Firmen in ihrem späteren Firmenleben erfolgreich agierten bzw. heute noch agieren, schwindet die Angst vor dem Risiko, in marktbeherrschende Monopolisten zu investieren.  Aus der damals zerschlagenen Standard Oil Company gingen insgesamt 33 kleinere Firmen hervor. Darunter so erfolgreiche und bekannte, wie Exxon (ESSO), Mobil, Chevron und Amoco, welche sich später mit BP zusammengeschlossen hat.  

Ein Peter Lynch Ansatz

Peter Lynch erzielte in den 13 Jahren, in denen er den Magellan Fund groß machte, eine bis heute unerreichte, durchschnittliche Rendite von 29,2 Prozent jährlich. Übrigens hat auch die Investorenlegende Peter Lynch zumindest partiell einen ähnlichen Ansatz verfolgt. Von Lynch wird berichtet, dass er beim Einkaufen mit seiner Frau Folgendes feststellte. Der Blick in den eigenen, sowie auch in die benachbarten Einkaufswagen, die an einer Supermarktkasse standen, offenbarte eine interessante Erkenntnis. Lynch erkannte, dass die Wagen oft mit ähnlichen Produkten befüllt waren. Sehr häufig mit Produkten von Firmen wie Procter & Gamble, Unilever, Kellogs, Coca Cola etc. Bei einer boomenden Wirtschaft war das Umsatzwachstum derartiger Unternehmen garantiert. Auf dieser Überlegung basierend, kaufte er auch derartige Unternehmen für den von ihm gemanagten Magellan Fonds und partizipierte von deren Erfolg.

The early bird catches the worm

Wer früh dran ist, fängt den Wurm. Dieses Sprichwort gilt natürlich auch für die Börse. Je früher in eine potenzielle Marktführerschaft investiert wird, umso größer sind die Erfolgschancen. Allerdings gilt dies auch für das Risiko. Dies sollte gerade von Anfängern bedacht werden.

Die Projektperspektive

Der wesentliche Aspekt für den Erfolg gründet allerdings auf eine Qualität des Investors. Auf die Fähigkeit diese Unternehmen mit unerschütterlicher Ruhe, unberührt im eigenen Depot zu belassen, trotz aller möglicher Krisen. Der Erfolg des Voya Corporate Leaders Trust Fund kann dabei als Positivbeispiel für das Potenzial dieser Strategie der ruhigen Hand dienen.

Vor diesem Hintergrund relativiert sich auch meine Voraussage für die zukünftige Entwicklung unseres aus dem Projekt hervorgegangenen Schülerfonds.   

Um für das Jahr 2034 ein Projektvermögen von 300.000 USD vorherzusagen, muss man keine große prophetische Gabe besitzen. Bereits eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von nur 8,10% reicht dafür aus. Vor dem Hintergrund der bereits erreichten Wachstumsrate von 23,31% nimmt sich dieses Ziel relativ bescheiden aus. Letztendlich würde es nichts anderes bedeuten, dass die von uns gekauften Aktiengesellschaften wachstumstechnisch auf Normalniveau schrumpfen.     

Über das Ergebnis werde ich im Jahr 2034 berichten, versprochen. Ich hoffe nur, man erinnert sich noch. Bis dahin verwalte ich das fiktive Vermächtnis treuhänderisch.

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Klaus-Uwe Becker